denken

Achsendrehung

Von 1936 bis 1938 schaute Hans Leipelt von seinem Wohnhaus auf das Kriegerdenkmal. Diese räumliche Beziehung, geprägt durch das ständige Betrachten des Denkmals, hat sicher einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Um diese symbolische Verbindung zu verdeutlichen, fand eine Künstlerisch-kritische Intervention statt: das Kriegerdenkmal wurde mit den Stolpersteinen von Hans Leipelt, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, sowie denen zweier weiterer Familienangehöriger in Beziehung gesetzt.

Das Kriegerdenkmal wurde um etwa 90 Grad gedreht, sodass es – als symbolische Repräsentation des Nationalsozialismus – seinen Blick direkt auf drei seiner Opfer richtete. Gleichzeitig wurde die räumliche Achse von der Mannesallee über das Kriegerdenkmal bis zur Kirche durch diese Maßnahme entschärft. Eine neue symbolische Verbindung trat in den Vordergrund: Der Widerstand gegen die Macht wurde betont.

Schrift am Boden – Das Verb denken und seine Präfixe

Das Verb “denken” mit seinen verschiedenen Präfixen sollte helfen, einen persönlichen Zugang zur Erinnerungskultur zu finden und es den Betrachtern erleichtern, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Präfixe verdeutlichten die Struktur und das Baukastensystem der deutschen Sprache. Beim Auseinandernehmen dieser zusammengesetzten Wörter wurde bewusst, wie alltäglich und selbstverständlich der Umgang mit Sprache ist, bis sich die Bedeutung dieser Wörter plötzlich veränderte – wie beispielsweise das Wort „querdenken“, das eine ganz andere Konnotation bekommen hat.

Die Wörter wurden aus farbigem Kunststoffbelag auf die Gehwege gebrannt. Sie sind nicht nur lesbar, sondern auch fühlbar, wenn man über sie geht oder fährt. Diese taktile Erfahrung schärft weitere Sinne und verlangsamte die Fortbewegung, um einen Moment des Nachdenkens zu schaffen. Der Ort wurde so zu einem Platz, der auf einfache Weise durch Sprache zum Innehalten und Nachdenken anregt.

Zusammenarbeit von Vera Drebusch und Reto Buser

Permanente Thermoplastik auf dem Gehweg des Verbs “denken” und seiner Präfixen, 15 Schriftzüge in diversen Größen (Höhe: 1 Meter, Länge bis 5 Meter; Farben: weiß, rot, blau, gelb, orange, grün, violett; Anbringung auf 3 Gehwegen)

NDR 90,3 – Kulturjournal
19.07.2024

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Denkmal-Kommentierung

Hamburger Abendblatt
19.03.2023

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Warum Künstler in Wilhelmsburg ein Denkmal drehen.

„Es soll eine konkrete sichtbare Beziehung hergestellt werden zwischen Tätern und Opfern des NS-Regimes“

NDR 90,3 Hamburg Heute – Nachrichten Podcast
16.03.2023

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ab Minute 03:04

Hamburger Wochenblatt
02.04.2023

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“Eine Drehung in Richtung Zukunft”

DENKEN am Kriegerdenkmal Hamburg Wilhelmsburg

Das umstrittene Kriegerdenkmal in Hamburg Wilhelmsburg – eine künstlerisch-kritische Intervention

Wir wollen nichts Monumentales errichten, nichts aufrichten, das einzelne Menschen klein macht – uns nicht der Rhetorik und Formensprache der Vergangenheit bedienen.
Unsere Intervention soll die Umgebung aktivieren die Gemeinschaft involvieren
 und zum Denken animieren.
Subtile Interventionen werden wie Störer:innen in der Umgebung des Kriegerdenkmals eingestreut. Dadurch entsteht ein Ort offener Fragen, ein Platz für Gedanken. Taktile und visuelle Sinneseindrücke bringen die Gedanken ins Rollen, ins Straucheln, verunsichern und stossen an. Dabei entschleunigt sich die Fortbewegung und es entsteht Zeit und Raum für Gespräche und Begegnungen.

Was setzt man einem Monument entgegen, das in seiner ganzen Erscheinung mit einer Sprache aus der Vergangenheit spricht, die wir schon einmal für entlarvt hielten?
Rechtspopulismus, Polarisierung und Krieg – wieviel können wir aus der Geschichte wirklich lernen?
 Ein erster Impuls, das Überwachsen lassen, das Abbauen, das Zubauen oder auch das Angreifen des Kriegerdenkmals, erwiesen sich schnell als zu ähnlich in der Geste des Kriegerdenkmals selbst.

Wir möchten nicht etwas errichten, das auf die Menschen herabschaut und Ewigkeit suggeriert und dabei diktiert was wir zu tun oder zu denken haben.
Wir möchten zum selber denken anregen – eine wichtige Fähigkeit der politischen Bildung und Grundlage für demokratische Grundwerte. Unsere Interventionen sind subtil und schaffen die Voraussetzungen dafür: Entschleunigung, Irritation, Denkanstösse. Durch eine Interaktion von unterschiedlichen Interventionen wird die Umgebung um das Kriegerdenkmal zu einem Platz aktiviert. Die so von uns vorgeschlagene Struktur beinhaltet auch partizipative Elemente, die wir gemeinsam mit Interessent:innen aus Wilhelmsburg und lokalen Gruppierungen ausarbeiten möchten. Über den Ort hinaus gehört auch ein Social Media Channel zu dieser Plattform, der über Ereignisse rund um Denken (Arbeitstitel) berichtet.

Unser Dank gilt v. a. Margret Markert und Oliver Menk, Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg/HONIGFABRIK e.V. sowie der DenkMal-Gruppe & Fred Schlatermund, Vorsitzender des Kirchengemeinderats der Ev.-luth. Reiherstieg-Kirchengemeinde Wilhelmsburg, Grundstückseigentümerin

Blick auf die Stolpersteine

Blick aus Sicht der Stolpersteine

Blick auf das gedrehte Kriegerdenkmal (90 Grad)

„Drehung des Denkmalsteins in Richtung der Stolpersteine, die auf dem Bürgersteig der Mannesallee für Familie Leipelt (Widerstand der Weißen Rose) schon 2002 verlegt wurden. Die Betrachtenden werden so mit den Opfern jenes Systems, dem die Inschrift des Kriegerdenkmals den Boden bereitete, konfrontiert. Gleichzeitig wird die Verbindung mit bereits vorhandenen Erinnerungsmalen für den Widerstand hergestellt. Eine vergleichbare räumliche Nähe zwischen einem Kriegerdenkmal und Stolpersteinen ist in Deutschland sicher selten gegeben.”

Wilhelmsburger InselRundblick
Kriegerdenkmal: Der Stein des Anstoßes wird bewegt
19.10.2022